Der Bauer Heinrich vollbringt ein Wunder
Einer von den „Festen“ war er, das erzählt man sich noch jetzt an den Lagerfeuern, wenn die Plackerei und Mühsal eine Pause macht und die Sterne hoch und klar stehen zum Beispiel über dem Frankenland oder über Sachsen oder über den kaiserlichen Erblanden, man erzählt es sich kopfschüttelnd jetzt, wie man es früher ehrfurchtsvoll tat.
Ein Bauer war er, der Heinrich, einer von ihnen, einer, der vom Hof davonlief, als der Krieg ihm nicht mehr übrig ließ als Trümmer und erstochenes Vieh und zerschlagene Truhen und eine geschändete Frau, die er kopfüber im Mühlbach wiederfand, ins hakelige Gezweig der Uferböschung geschwemmt. Da war er 19 Jahre alt, in der Blüte seines Lebens und doch schon längst darüber hinaus, an jenem Tag, als das Tillysche Heer abzog aus seinem Dorf im Niedersächsischen, und er sich entschloss, ab jetzt mit zu fressen statt gefressen zu werden von den blutigen Zeiten.
Mit einem Trupp Pikeniere ging er, bekam ein Handgeld, weil er sich werben ließ von dem Hauptmann dieses zusammen gelaufenen Häufleins, Geld, das zu nichts taugte, weil die Münzen von Kippern und Wippern geschlagen worden waren, dafür aber mit lustigen Wappen protzten, die Heinrich noch nie gesehen hatte. Die Pieke, die er in die Hand gedrückt und der Harnisch, den er umgehängt bekam, waren von einem gefallenen Kameraden, ihm war’s egal, er zog nun mit dem gierigen Lindwurm, der sich von Nord nach Süd und von West nach Ost wälzte und schnell fiel er auf, weil er in jedes Scharmützel ging, wie er einst auf seine Felder zog, unbekümmert und gewissenhaft, er wich nicht vor der Mansfeldschen Reiterei und auch nicht vor den Feldschlangen des dänischen Königs. Keine Kugel streifte ihn, kein Dolch, kein Schwerthieb erwischte ihn, dabei war er regelmäßig vorn dabei, stakte durch das Blut der Unglücklicheren und brummte nur, wenn sein Kriegswerkzeug zerbrach, und er nach etwas anderem greifen musste, einem Holzstiel oder einem Beil im Getümmel, um nicht schutzlos da zu stehen.
Man begann zu munkeln, welchen Zauber dieser Piekenier im Tillyschen Gefolge wohl nutzte, denn ein heiliges Wundermittel musste es sein, das ihn unverwundbar machte. Man drang auf Heinrich ein, manchmal von hintenrum, manchmal ganz direkt und seine verdutzte Art, mit der er zuerst reagierte auf die Fragen, wie viel sein Geheimnis denn kosten würde, das machte ihn nicht sympathisch, war doch klar, dass er nur den Preis in die Höhe treiben wollte mit seiner naiv-tuenden Masche. Ob es eine Zauberformel sei oder eine Tinktur oder gar ein Splitter vom Kreuze des Herrn, wollte man wissen. Aber Heinrich blieb verstockt, stumm hockte er da mit seinem breiten Bauernschädel und wusste nichts als dümmliches Grinsen bei all der Insistiererei, schließlich kannte er sich nicht aus mit Magierkram, wollte nur seine Ruhe, seine Pflicht tun, war stets nur ein einfältiger Christenmensch gewesen und abergläubisch nur insofern, als es die überlieferten Regeln seines verflossenen Landmann-Lebens betraf.
Also schickte man ihn Kriegsweibel ins Zelt, Huren, die ihr Auskommen und ihren Schutz im Gefolge der Söldner suchten, sie sollten ihm hübsche Augen machen und mit blanken Brüsten und allerlei üppiger Weiblichkeit locken und ihm in einem schwachen erregten unachtsamen Augenblick das dringend benötigte Geheimnis preis geben lassen. Aber Heinrich griff nicht zu bei der fleischlichen Pracht, blieb unwirsch, in sich gekehrt, keusch, wand sich aus den fordernden fremden Armen, murmelte etwas von einem lebenslangen Gelöbnis, das er einst gegeben hatte und wollte nur an seinem Brot kauen oder sich am Feuer wärmen oder vor sich hin stieren. Das machte ihn umso suspekter, man sah in ihm Hoffart, meinte, er würde sich als etwas Besseres fühlen, aber mit Gewalt traute man sich schon längst nicht mehr an ihn heran, keiner der sich finden ließ, ihn im Schlaf mit einem Messer an der Kehle zu überraschen.
Anno 1629 dann, Heinrich war in das Wallensteinsche Herr gewechselt und hatte dabei die Pieke mit dem Musketier getauscht, belagerte man Stralsund. Drei Tage brandete die erbitterte Schlacht an den Festungswerken der Hafenstadt, Wallenstein höchst selbst war aus seinem Friedländischen angereist, den abtrünnigen Pommern Mohres zu lehren, drei Tage metzelte und zerfleischte und metzgerte es unter schönster Juni-Sonne, der äußere Mauerring war überwunden, die eingeschlossenen dänischen und schottischen und schwedischen Garnisonen schmolzen dahin, aber ebenso schmolzen auch die kaiserlichen Truppen, Hunderte lagen tot in den Gräben und Tausende schwärten verstümmelt auf ihren Wundlagern, so dass sich der oberste Heerführer seine Gedanken machte und seine Sorgen und die Schlacht abbrechen ließ und abrückte mit dem, was noch übrigblieb von seinen Mannen.
Heinrich war unter jenen, die mit abzogen, der einzige seines Fähnleins, was nun selbst den höheren Chargen auffiel, so dass er nicht mehr anders konnte als Antwort zu stammeln bei den bohrenden Worten seines Obersten. Heinrich wusste nicht, warum er ausgerechnet sagte, er hätte seiner Frau die Treue geschworen für ewig und halte sich daran, vielleicht sei es ja das, was ihn so fest mache, so unsichtbar für die feindlichen Waffen. Er wusste es tatsächlich nicht, drehte seinen Filzhut verlegen in den Händen, trielte vor Aufregung, sprühte Speichel bei jedem spröden Wort. Nach jener Raub- und Mordnacht, die sein Leben veränderte, war es das Einzige, was ihm Halt gab, der Gedanke an sein verflossenes Lebensglück an der Seite seiner Frau. Das erschien ihm einleuchtend genug als Grund für das elende Gewese, das man nun um ihn machte, denn was sonst sollte ihn unterscheiden vom Rest der Kreaturen, die kamen und starben? Ihm war es recht, als man ihn nach jener Befragung endlich ungestört ließ, die scheelen heimlichen Blicke von der Seite, die kannte er bereits, auch das Getuschel so manches Mal in seiner Nähe, auch, dass man sich im kriegerischen Treffen möglichst bei ihm hielt, so wie man ihn ansonsten eher mied.
Ein Jahr später war auch der ehedem so feste Heinrich, niedersächsischer Landmann und Pikenier und Musketier im kaiserlichen Heer des dreißigjährigen Krieges, tot. Still starb er an Auszehrung, wie man so sagte, ein heller Septembermorgen wollte gerade nahe Pasewalk aufziehen, da verröchelte seine Seele, und er blieb krummbeinig und grau eingesunken im Stroh liegen.
Was er in seinem letzten Lebensjahr nicht mitbekommen hatte: Dass seine Worte vor dem Oberst rundum Widerhall fanden, zuerst in seinem Regiment, späterhin auch in anderen, die Kunde von einem treuen, keuschen Leben, das fest, das unverwundbar mache, zirkulierte eine Saison lang, erreichte sogar Österreich, sogar Italien, die Ängstlichen, die Gepressten sahen in dem Rezept, bei Plünderungen nicht auch noch zu vergewaltigen, einen Weg, der sich einfach verfolgen ließ, um magische Kräfte zu erlangen. Und so waren die deutschen Lande für wenige Monate dank eines trauernden Mannes ein wenig weniger mörderisch.
(c) 2015 Andreas Erber, Auszug aus "Von 84 Arten ins Gras zu beißen"