Lesestoff

Der Dorfrundgang

Seien wir doch mal ehrlich, die Alte hat einen Haumich, einen ganz schwer an der Waffel, huckenhackendumm ist die, wackelt jeden Morgen ihre Runde durch den Ort, zum Fleischer Beck, zum Bäckermeister Kloten, auch zum Edeka spirrt sie buntgekleidet, kauft hier und dort und alles, was sie so meint zu brauchen für Zwei, jeden Morgen ihr Gang, zackzackzack, stolz und hoch erhobenen Hauptes, füllt ihr Tragetäschchen mit allerlei, Kaffee ist manchmal dabei, zwei Wecken und braunfrischduftendes Brot, ab und wann auch ein Glas Honig, italienische Cervelat immer, die mag er doch so gern, lächelt sie dann regelmäßig, schön ist sie anzusehen dabei, eine Schönheit hier in unserem Dorfe, das muss man ihr lassen, eigentlich eine Schande, ein mordsteufeliger Mist von nahem betrachtet, dass ausgerechnet die es treffen musste, dass ausgerechnet sie von Gottes Hand mit einem Dachschaden gesegnet werden musste, einem himmelhochjauchzenden Schaden ersten Kalibers, wenn man genau ist, läuft also rundherum, immer zur gleichen Zeit, wenn drüben die blitzernsilbernen Milchkannen vom letzten noch funktionierenden Bauernhof gefahren werden in aller Früh, klappert in ihren damenhaften Schühchen oder stolziert in ihren sommerluftigen Sandaletten die schmale Hauptstraße hoch und runter, prüft, redet mit den Katzen, die ihr tageslichtblinzelnd an der Tasche hängen, grüßt manchmal sogar mit artiger Geste, schaut sehr gepflegt, redet nicht viel, tagweis’ gar nichts, geht nach Haus dort oben im Neubaugebiet an der Streuobstwiese, ist verschwunden mindestens für einen Vormittag, reckt ihr Näschen dann wieder hervor, harkelt manchmal ein wenig im Garten, macht dann wieder ihre Runde, kauft ein für seine Leibspeise, immer das Gleiche, Bratwürste mit Kartoffelpüree und Feldsalat, immer und immer und immer wieder der gleiche Dreck, verschwindet und kocht und brät das Zeug, man kann es schon nicht mehr riechen in der Nachbarschaft, fragen Sie da mal an, die werden Ihnen was erzählen, dieses ewige Bratwurstgedünst, nicht einmal der Pfarrer konnte der was, hat es wieder und wieder probiert, auch nicht die wenigen hier im Ort, die noch Mitleid hatten und Hilfe anboten und sorgenvoll mit Ärzten kamen, mit Wunderheilern und Quacksalbern und Telefonnummern reichten von Organisationen in der Stadt, aufgegeben haben auch die irgendwann, verstanden die Welt nicht mehr, so etwas von halsstarrig und uneinsichtig und blöd verschlossen ist die, flötet bei jedem gut gemeinten Ratschlag nur Belangloses, lenkt ab, redet dann plötzlich von Astern im Spätherbst oder fällt ins Wort mit dem Hinweis, sie müsse den Wagen bald in die Werkstatt bringen, sanftmütig schaut sie dabei, gütig von oben herab, lässt nichts und niemanden an sich heran, zum Haareausreißen, sage ich, verflixt und zugenäht, geht stattdessen jeden Sonntag zur Kapelle, eine eigene Kirche haben wir ja schon lang nicht mehr, legt bündelweis Blumen vor das weiß gekalkte Mäuerchen, murmelt dann viel, das wissen alle, haben alle schon gehört, murmelt von Reisen, die sie noch mit ihm unternehmen möchte, das ist verbürgt, auch von Kindern, die sie bald haben will und für die doch einst das Haus gebaut wurde, singssangt die Namen, die sie ihnen geben könnte, schwelgt leis in Vorfreude, seufzt, wie schön gerade der Tag sei, erzählt, dass sie ihm etwas Aufregendes zum Geburtstag schenken wird, fragt, weißt Du noch? und fleht manchmal, sie nicht zu vergessen – dabei ist ihr Mann schon längst tot, verstehen Sie?, gestorben vor Jahren an einer Lungenentzündung, ein netter Bursche war das, wir haben ihn auch gemocht, aber ist das ein Grund, sein Leben wegzugeben, sie ist doch noch jung, könnte doch jeden haben hier, könnte doch neu anfangen – kapiere einer die Welt!

(c) 2015 Andreas Erber, Auszug aus "Von 84 Arten ins Gras zu beißen"

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